ÖNZ-Stellungnahme zum M23-Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo: humanitäre Katastrophe abwenden und Eskalation der Gewalt stoppen

Die ohnehin katastrophale humanitäre Lage in und um die Stadt Goma spitzt sich seit Anfang Februar dramatisch zu. Allein seit dem 7. Februar sind nach Schätzungen von Hilfsorganisationen ca. 135.000 Menschen neu vertrieben worden. Im November 2021 hatte die „Bewegung des 23. März“ (M23) den bewaffneten Kampf gegen die kongolesische Armee nach fast zehn Jahren wiederaufgenommen. Nachdem die Kampfhandlungen zwischenzeitlich zurückgegangen sind, eskaliert die Gewalt seit Oktober 2023 zusehends. Seit der Nacht vom 11. Februar versucht die M23 die 25 km von Goma entfernte, strategisch wichtige Stadt Sake einzunehmen. Sake ist als Verkehrsknotenpunkt von herausragender Bedeutung für die Versorgung Gomas mit Lebensmitteln. Die zunehmende Gewalt wirkt sich unmittelbar auf die Zivilbevölkerung aus: Siedlungen und dicht besiedelte Gebiete, einschließlich der Außenbezirke von Goma, werden von schwerer Artillerie getroffen. Die Ankunft einer großen Anzahl von neuen Geflüchteten stellt Hilfsorganisationen vor immense Herausforderungen. Neben der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern richtet sich die Sorge auch auf die Gefahr des Ausbruchs von Epidemien.

Die ruandische Armee RDF unterstützt unterdessen weiter die M23. Laut einem UN-Bericht setzte sie Anfang Februar erstmals eine Boden-Luft-Rakete gegen eine UN-Aufklärungsdrohne ein und bombardierte laut kongolesischer Armee den Flughafen von Goma. Die kongolesische Armee FARDC wiederum kooperiert im Kampf gegen die M23 weiter mit bewaffneten Gruppen, rekrutiert neue Soldaten und heuert Angehörige von Söldnergruppen an. Darüber hinaus setzt sie neuerdings neben Kampfjets auch Drohnen ein. Zusätzlich kämpfen seit Dezember burundische Soldaten an der Seite der FARDC. Schließlich ist eine neue Mission der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC) im Kampf gegen die M23 im Einsatz.

Die angespannte Lage trägt zur weiteren Verschärfung der extremen Spannungen zwischen den Regierungen der DR Kongo und Ruandas bei. Während der im Dezember 2023 wiedergewählte Präsident der DR Kongo, Félix Tshisekedi, im Wahlkampf wiederholt damit gedroht hat, Ruanda den Krieg zu erklären, hat das ruandische Außenministerium in einem am 18. Februar veröffentlichten Statement bekräftigt, dass sich Ruanda für den Ernstfall wappnet. Mit der Entsendung von Soldaten zur Verstärkung der kongolesischen Armee ist auch Burundi in den Sog des Konflikts geraten. Nach dem Angriff einer burundischen Rebellengruppe auf einen Grenzort an der burundisch-kongolesischen Grenze im Dezember, warf der Präsident Burundis, Évariste Ndayishimiye, Ruanda vor, die Rebellengruppe zu unterstützen. Daraufhin ließ er die erst kürzlich wiedereröffnete Grenze zu Ruanda erneut schließen. Die Zeichen stehen also auch im burundisch-ruandischen Verhältnis auf Sturm.

Von der Ostafrikanischen Gemeinschaft und der Internationalen Konferenz der Großen Seen (ICGLR) initiierte Vermittlungsbemühungen scheinen sich derweil in einer Sackgasse zu befinden. Stattdessen schreitet die Militarisierung des Konflikts zu Lasten der schwer geprüften Zivilbevölkerung weiter voran und die Polarisierung nimmt zu. Im Wahlkampf geschürte anti-ruandische Ressentiments fallen angesichts der gegenwärtigen Lage auf fruchtbaren Boden. Kinyarwanda sprechende Menschen in der DR Kongo sehen sich Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt. 2012 hatte die M23 schon einmal kurzzeitig Goma eingenommen. 

Sollte Sake nun fallen und Goma angegriffen werden, steht zu befürchten, dass sich der Konflikt zu einem regionalen Krieg ausweitet. Um eine Eskalation des Kriegs und weiteres Leid für die Zivilbevölkerung zu verhindern, fordert das
ÖNZ die Bundesregierung auf:

  1. sich bilateral und multilateral für direkte Verhandlungen über einen Waffenstillstand einzusetzen. Falls diese Verhandlungen nicht zustande kommen oder scheitern, sollten weitere Sanktionen insbesondere gegen hochrangige Mitglieder der M23, der ruandischen Streitkräfte und/oder Regierungsmitglieder verhängt werden. Außerdem sollte die Auszahlung finanzieller Hilfen an die RDF vorübergehend eingestellt werden, so z.B. die finanzielle Unterstützung für den Militäreinsatz in Mosambik im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität.
  2. zusätzliche Haushaltsmittel für die Katastrophenhilfe in Nord-Kivu bereitzustellen.
  3. sich für effektive Friedensverhandlungen unter Einbindung der Zivilgesellschaft einzusetzen. Ziel sollte sein, die kongolesische Regierung ebenso wie die Regierung Ruandas sowie die Regierungen anderer Nachbarstaaten (z.B. Burundi und Uganda) dabei zu unterstützen, eine langfristige politische Lösung für die Krise in der Region zu finden.
  4. sich für die Ernennung eines EU-Sondergesandten für die Region der Großen Seen einzusetzen. Die EU muss mit einer Stimme sprechen und eine kohärente und menschenrechtsbasierte Politik in Bezug auf die Großen Seen verfolgen.
  5. die kongolesische Regierung aufzufordern als „ruandophon“ bezeichnete Menschen in der DR Kongo vor Übergriffen durch die Bevölkerung und Sicherheitskräfte zu schützen und von Hassrede abzusehen.

Die  Stellungnahme finden Sie untenstehend als PDF-Dokument.